Piratenkrieg in Schweden
Eine sonderbare Auseinandersetzung findet derzeit auf schwedischem Boden statt.
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06. Juni 2006
NACH BITTORRENT-RAZZIA
Piratenkrieg in Schweden
Von Stefan Schmitt und Christian Stöcker
Eine Tauschbörsen-Razzia hat zu einer Frontstellung geführt, die Schweden spaltet: Hacker attackierten Regierungs- und Polizeiseiten, gleichzeitig kam der "Piratenpartei" ihre Mitgliederliste abhanden. Filesharing ist zum nationalen Politikum geworden. [...]
Der Parteichef der Piratenpartei (PP) Rickard Falkvinge, ist außer sich: "Das ist unerhört", sagte er der schwedischen Zeitung "Aftonbladet", "ich finde keine Worte". Die PP ist eine registrierte politische Partei mit über 5000 Mitgliedern - und deren Namen samt Geburtsdatum, Wohnort und Telefonnummer lagen am Wocheende plötzlich dem Stockholmer Boulevardblatt "Aftonbladet" vor. So etwas ist illegal in Schweden. Der Kampf um Tauschbörsen wird plötzlich mit ganz harten Bandagen geführt.
Pikant ist der Datenklau aus drei Gründen: Erstens steht die Piratenpartei auf dem Standpunkt, dass Urheberrechte die Entstehung kultureller Werte verhindern, zweitens ist die Verletzung solcher Urheberrechte auch in Schweden strafbar - und drittens stehen gerade die Sympathisanten der Piratenpartei in Schweden spätestens seit vergangener Woche unter Generalverdacht. Seit am Mittwoch nämlich die Server der Bittorrent-Seite The Pirate Bay beschlagnahmt wurden hat sich das Klima in dem Königreich nachhaltig verändert, was das Tauschen von Musik und Filmen über das Internet angeht.
Schnell verbreitete sich auch noch das Gerücht, die Liste habe sich auf einem der bei The Pirate Bay beschlagnahmten Server befunden. "Dieses Gerücht habe ich auch gehört", sagt Falkvinge, "und falls es richtig sein sollte und falls die Liste dann bei der Polizei durchgesickert sein sollte, wäre das ein Rechtsbruch unerhörten Ausmaßes."
Dass der entsprechende Server der PP sich bei der Polizei befindet, ist laut Johan Linander, dem rechtspolitischen Sprecher der schwedischen Zentrumspartei, gewiss. Der Rechtsanwalt der Pirate-Bay-Betreiber, Mikael Viborg, berichtet in seinem Weblog auch noch erbost über ziemlich rüde Polizeimethoden im Vorfeld der Razzia. Sogar eine DNA-Probe habe man ihm abverlangt, seine gesamte private Rechnerausrüstung beschlagnahmt. Die Gegenseite ist allerdings auch nicht zimperlich - bei YouTube findet sich inzwischen ein Überwachungsvideo von der Razzia, auf dem beteiligte Polizisten klar zu erkennen sind.
Nach weiteren Enthüllungen vom Wochenende müssen nicht nur die Piratenparteigänger um ihre Privatsphäre fürchten. Wie "Aftonbladet" berichtet, hat die Urheberrechtsschützer-Lobbyorganisation "Antipiratbyrån" heimlich schwedische Internetnutzer beobachten lassen: "Sie speichern detaillierte Angaben darüber, welche Filme, Musikstücke und Spiele du heruntergeladen hast", schreibt das Blatt. Mindestens 400.000 Schweden seien in der Datenbank enthalten, die nationale Behörde für Datenschutz überprüfe nun das Gebaren der Organisation - denn solche Überwachung ist ohne rechtliche Grundlage auch in Schweden illegal.
Nur "Gespräche", keine Weisung aus USA
Die Verordnung der EU, Verbindungsdaten von Internetnutzern künftig für sechs Monate zu speichern, ist in Schweden höchst umstritten. Sie war einer der Gründe für die Gründung der Piratenpartei (die sich ausschließlich einer Urheberrechtsreform und einem Streben nach mehr Privatsphäre verschrieben hat). Justizminister Thomas Bodström ist einer der Befürworter dieser Richtlinie.
Nun steht Bodström auch wegen der Razzia bei The Pirate Bay in der Kritik - denn das schwedische Fernsehen hat berichtet, die sei auf Betreiben von US-Beamten zustandegekommen, und von Bodströms Ministerium gegen die Einwände von Polizei und Staatsanwaltschaft durchgesetzt worden. Johan Linander will Bodström deshalb vor den Verfassungsausschuss des Parlaments bringen - obwohl Bodström den Einfluss aus den USA vehement bestreitet. Es gebe nur "Gespräche über das Thema Urheberrecht".
Linander zufolge ist auch der schwedische Ombudsmann für Polizei und Justiz - eine unabhängige Kontrollinstanz - bereits dabei, die Vorgänge um die Razzia zu untersuchen. Anders als der Parlamentsausschuss, der sich auf die Rolle des Justizminsteriums beschränken muss, kann der Ombudsmann auch die Handlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen.
Web-Vandalismus nach Server-Beschlagnahme
The Pirate Bay war zwischendurch wieder kurz online, angeblich von Niederländischen Servern aus, dann wieder nicht erreichbar. Zwischendurch wurde auf den Seiten der PP um Hilfe gerufen: "Unsere Server schaffen es nicht!" Im Augenblick ist The Pirate Bay in einer abgespeckten Version wieder zu erreichen.
Wie wütend die Sympathisanten der Datentauscher über die Server-Beschlagnahmungen sind, zeigte sich am Wochenende: Sowohl Rechnernetze der Regierung als auch der schwedischen Polizei gingen unter Hackerangriffen in die Knie. "Antipiratbyrån" nahm seine Webseite daraufhin vorsorglich vom Netz.
An Demonstrationen in Göteborg und Stockholm nahmen dagegen nur zwischen 500 und 900 Menschen teil - auf die Straße gehen mochten die Datentauscher dann offenbar doch nicht für ihre Sache. Welchen Einfluss die Pirate Bay auf den schwedischen Netzverkehr hatte, zeigt jedoch eine Auswertung der IT-Nachrichtenseite IPwalk: Nach deren Daten ging der gesamte Internettraffic in Schweden nach der Beschlagnahmung der Server um 20 Prozent zurück.
Kavaliersstart in den Wahlkampf
Für die PP könnten sich die Ereignisse am Ende als politischer Glücksfall erweisen: "Als das mit der Liste in die Nachrichten geriet, gingen die Neuanmeldungen bei uns steil nach oben", sagte Falkvinge SPIEGEL ONLINE. Und auch die Razzia bei dem Bittorrent-Tracker habe für die neu gegründete Partei zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können: "Wir fangen gerade mit der Wahlwerbung an."
"Filesharing wird das heiße Thema im kommenden Wahlkampf", sagte Falkvinge, "und wir sind die einzige Partei, die diesen Komplex versteht." Um die Vier-Prozent-Hürde für das schwedische Parlament (Riksdag) zu nehmen, müssten die Parteipiraten 225.000 Stimmen auf sich vereinen - das würde, je nach Verteilung, dann 14 bis 18 Sitzen im neu gewählten Parlament entsprechen.
Der Verfassungsausschuss, den Linander in der causa Pirate Bay angerufen hat, geht dagegen in weniger als zwei Wochen in die Sommerpause. "Keine Chance, dass da vorher noch über die Rolle des Justizministeriums gesprochen wird", sagt Linander.
Ob der Schlag gegen den Bittorrent-Tracker wirklich auf ministerielle Weisung hin geschah, werde erst der Verfassungsausschuss des nächsten Reichstags klären können. Ob Thomas Bodström dann immer noch Justizminister ist, steht in den Sternen. Dafür könnte im Ausschuss ein Vertreter der Piraten-Partei sitzen.
>> # top # | Q: Spiegel Online.de
sent by Jtranz
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06. Juni 2006
NACH BITTORRENT-RAZZIA
Piratenkrieg in Schweden
Von Stefan Schmitt und Christian Stöcker
Eine Tauschbörsen-Razzia hat zu einer Frontstellung geführt, die Schweden spaltet: Hacker attackierten Regierungs- und Polizeiseiten, gleichzeitig kam der "Piratenpartei" ihre Mitgliederliste abhanden. Filesharing ist zum nationalen Politikum geworden. [...]
Der Parteichef der Piratenpartei (PP) Rickard Falkvinge, ist außer sich: "Das ist unerhört", sagte er der schwedischen Zeitung "Aftonbladet", "ich finde keine Worte". Die PP ist eine registrierte politische Partei mit über 5000 Mitgliedern - und deren Namen samt Geburtsdatum, Wohnort und Telefonnummer lagen am Wocheende plötzlich dem Stockholmer Boulevardblatt "Aftonbladet" vor. So etwas ist illegal in Schweden. Der Kampf um Tauschbörsen wird plötzlich mit ganz harten Bandagen geführt.
Pikant ist der Datenklau aus drei Gründen: Erstens steht die Piratenpartei auf dem Standpunkt, dass Urheberrechte die Entstehung kultureller Werte verhindern, zweitens ist die Verletzung solcher Urheberrechte auch in Schweden strafbar - und drittens stehen gerade die Sympathisanten der Piratenpartei in Schweden spätestens seit vergangener Woche unter Generalverdacht. Seit am Mittwoch nämlich die Server der Bittorrent-Seite The Pirate Bay beschlagnahmt wurden hat sich das Klima in dem Königreich nachhaltig verändert, was das Tauschen von Musik und Filmen über das Internet angeht.
Schnell verbreitete sich auch noch das Gerücht, die Liste habe sich auf einem der bei The Pirate Bay beschlagnahmten Server befunden. "Dieses Gerücht habe ich auch gehört", sagt Falkvinge, "und falls es richtig sein sollte und falls die Liste dann bei der Polizei durchgesickert sein sollte, wäre das ein Rechtsbruch unerhörten Ausmaßes."
Dass der entsprechende Server der PP sich bei der Polizei befindet, ist laut Johan Linander, dem rechtspolitischen Sprecher der schwedischen Zentrumspartei, gewiss. Der Rechtsanwalt der Pirate-Bay-Betreiber, Mikael Viborg, berichtet in seinem Weblog auch noch erbost über ziemlich rüde Polizeimethoden im Vorfeld der Razzia. Sogar eine DNA-Probe habe man ihm abverlangt, seine gesamte private Rechnerausrüstung beschlagnahmt. Die Gegenseite ist allerdings auch nicht zimperlich - bei YouTube findet sich inzwischen ein Überwachungsvideo von der Razzia, auf dem beteiligte Polizisten klar zu erkennen sind.
Nach weiteren Enthüllungen vom Wochenende müssen nicht nur die Piratenparteigänger um ihre Privatsphäre fürchten. Wie "Aftonbladet" berichtet, hat die Urheberrechtsschützer-Lobbyorganisation "Antipiratbyrån" heimlich schwedische Internetnutzer beobachten lassen: "Sie speichern detaillierte Angaben darüber, welche Filme, Musikstücke und Spiele du heruntergeladen hast", schreibt das Blatt. Mindestens 400.000 Schweden seien in der Datenbank enthalten, die nationale Behörde für Datenschutz überprüfe nun das Gebaren der Organisation - denn solche Überwachung ist ohne rechtliche Grundlage auch in Schweden illegal.
Nur "Gespräche", keine Weisung aus USA
Die Verordnung der EU, Verbindungsdaten von Internetnutzern künftig für sechs Monate zu speichern, ist in Schweden höchst umstritten. Sie war einer der Gründe für die Gründung der Piratenpartei (die sich ausschließlich einer Urheberrechtsreform und einem Streben nach mehr Privatsphäre verschrieben hat). Justizminister Thomas Bodström ist einer der Befürworter dieser Richtlinie.
Nun steht Bodström auch wegen der Razzia bei The Pirate Bay in der Kritik - denn das schwedische Fernsehen hat berichtet, die sei auf Betreiben von US-Beamten zustandegekommen, und von Bodströms Ministerium gegen die Einwände von Polizei und Staatsanwaltschaft durchgesetzt worden. Johan Linander will Bodström deshalb vor den Verfassungsausschuss des Parlaments bringen - obwohl Bodström den Einfluss aus den USA vehement bestreitet. Es gebe nur "Gespräche über das Thema Urheberrecht".
Linander zufolge ist auch der schwedische Ombudsmann für Polizei und Justiz - eine unabhängige Kontrollinstanz - bereits dabei, die Vorgänge um die Razzia zu untersuchen. Anders als der Parlamentsausschuss, der sich auf die Rolle des Justizminsteriums beschränken muss, kann der Ombudsmann auch die Handlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen.
Web-Vandalismus nach Server-Beschlagnahme
The Pirate Bay war zwischendurch wieder kurz online, angeblich von Niederländischen Servern aus, dann wieder nicht erreichbar. Zwischendurch wurde auf den Seiten der PP um Hilfe gerufen: "Unsere Server schaffen es nicht!" Im Augenblick ist The Pirate Bay in einer abgespeckten Version wieder zu erreichen.
Wie wütend die Sympathisanten der Datentauscher über die Server-Beschlagnahmungen sind, zeigte sich am Wochenende: Sowohl Rechnernetze der Regierung als auch der schwedischen Polizei gingen unter Hackerangriffen in die Knie. "Antipiratbyrån" nahm seine Webseite daraufhin vorsorglich vom Netz.
An Demonstrationen in Göteborg und Stockholm nahmen dagegen nur zwischen 500 und 900 Menschen teil - auf die Straße gehen mochten die Datentauscher dann offenbar doch nicht für ihre Sache. Welchen Einfluss die Pirate Bay auf den schwedischen Netzverkehr hatte, zeigt jedoch eine Auswertung der IT-Nachrichtenseite IPwalk: Nach deren Daten ging der gesamte Internettraffic in Schweden nach der Beschlagnahmung der Server um 20 Prozent zurück.
Kavaliersstart in den Wahlkampf
Für die PP könnten sich die Ereignisse am Ende als politischer Glücksfall erweisen: "Als das mit der Liste in die Nachrichten geriet, gingen die Neuanmeldungen bei uns steil nach oben", sagte Falkvinge SPIEGEL ONLINE. Und auch die Razzia bei dem Bittorrent-Tracker habe für die neu gegründete Partei zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können: "Wir fangen gerade mit der Wahlwerbung an."
"Filesharing wird das heiße Thema im kommenden Wahlkampf", sagte Falkvinge, "und wir sind die einzige Partei, die diesen Komplex versteht." Um die Vier-Prozent-Hürde für das schwedische Parlament (Riksdag) zu nehmen, müssten die Parteipiraten 225.000 Stimmen auf sich vereinen - das würde, je nach Verteilung, dann 14 bis 18 Sitzen im neu gewählten Parlament entsprechen.
Der Verfassungsausschuss, den Linander in der causa Pirate Bay angerufen hat, geht dagegen in weniger als zwei Wochen in die Sommerpause. "Keine Chance, dass da vorher noch über die Rolle des Justizministeriums gesprochen wird", sagt Linander.
Ob der Schlag gegen den Bittorrent-Tracker wirklich auf ministerielle Weisung hin geschah, werde erst der Verfassungsausschuss des nächsten Reichstags klären können. Ob Thomas Bodström dann immer noch Justizminister ist, steht in den Sternen. Dafür könnte im Ausschuss ein Vertreter der Piraten-Partei sitzen.
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posted by Woodrow at 6/06/2006 07:20:00 PM
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