Short Stories: Kaelte
Es ist mal wieder Zeit fuer eine neue Rubrik, und zwar fing ich vor einiger Zeit mit dem Niederschreiben der einen oder anderen Gedanken an. Manchmal entstand daraus eine Kurzgeschichte. So wie diese. [...]
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2oo7-o1-26 · Woodrow Shigeru
Kaelte
Er zwang sich selber dazu. "Es muss sein." In der Wohnung war es eisig kalt. Es war ein Altbau und die Decke schien fuer ihn oft unerreichbar. Die Waende waren gepflastert mit unzaehligen Fotos. Es war eines seiner Hobbies, die Fotos von Verwandten und Bekannten an die Wand statt in ein Album zu heften. So fuehlte er sich wenigstens nicht mehr ganz so einsam. Jack Tranton saß gerade an seinem Schreibtisch. Das einzige vernehmbare Geraeusch im Raum war das Ticken der Uhr, die an der Wand hing. Jack hatte zwar die Anlage eingeschaltet, aber die Musik erreichte ihn nicht. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders.
Jack erinnerte sich an den Bauernhof, auf dem er als Kind zwei Jahre verbracht hatte. Er war damals nicht aelter als acht Jahre alt. Die Wintertage waren zu der Zeit die schlimmsten in ganz Suedengland und verlangten die groessten Opferzahlen seit der letzten Epidemie. Und als ob das nicht genug waere, machten die furchteinfloessesten Geruechte ueber einen wahnsinnig gewordenen Schlitzer, der kleine Maedchen in tiefe Waelder lockte, um sie dort in duenne Fetzen zu zerschneiden, ihre Runden. Aus diesem Grund behielt man seine eigenen Kinder besonders gut im Auge. Doch davon hatte er erst spaeter erfahren, denn er war viel zu jung zu der Zeit, die er meist damit verbrachte, das Feld von Ungeziefer frei zu halten. Sein Onkel Wilson, bei dem er lebte, zuechtete schon seit Jahrzehnten eine ausgefallene Sorte von Karotten, die man auch im Winter anbauen konnte. Onkel Wilson nannte sie Frostmoehren. Besonders grossen Erfolg konnte er mit ihnen jedoch nicht verbuchen. Aber so war er nun mal: wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man ihn nur in seltenen Faellen davon abbringen.
Kurioserweise lockten die ungewoehnlichen Moehren auch ungewoehnliche Plagegeister an: von den ueblichen halb verhungerten Tagedieben einmal abgesehen, die lieber dieses geschmacklose Gemuese aßen als die naechste Mahlzeit der ortsansaessigen Kraehen zu werden, fielen nicht selten mehrere Male am Tag diverse Spinnen, Kaefer, Schlangen und natuerlich boesartige Hasen ueber die Felder her. Anscheinend hatten die Frostmoehren ueber die vielen Jahre hinweg besonders die Kaefer genaehrt und gegen die furchtbare Kaelte resistenter gemacht - ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf ihre Groesse. Jack hatte damals, als er mit schweren Aesten auf die ueberproportionalen Kaefer und gemeingefaehrlichen Hasen einpruegelte, nicht mehr an als einen gestrickten grauen Wollpullover, der schon mehrere Fingergrosse Loecher aufwies. Das hat ihn abgehaertet - dachte er zumindest.
Doch die Kaelte des Tisches, die ihn traf, als er seine nackten Arme unbewusst auf ihn ablegte, holte ihn zurueck ins Hier und Jetzt. Die Heizung der Altbauwohnung war schon fast auf die volle Staerke eingestellt und doch war die Tischplatte so kalt wie der Putenschinken im Kuehlschrank. Die Waerme war zwar zu spueren, wenn man seine Hand auf den Heizkoerper legte, aber schon einen halben Meter entfernt von ihm war die Luft mit eisiger Kaelte erfuellt. Das Fenster musste nicht richtig dicht sein. Oder vielleicht lag es auch an der Wohnungstuer, die sich eine Handbreit ueber dem Boden erhob und so die kalte Luft von draussen reinliess.
Jack schaute aus dem Fenster. Der Schnee, der an diesem Tag der erste Schnee des ganzen Jahres war, war inzwischen nur noch an wenigen Stellen in Form einer papierduennen Schicht zu sehen. Dort, wo noch kein Auto gefahren, wo noch kein Mensch einen Fuß gesetzt hatte. Auf der anderen Straßenseite sah er einen alten Mann, der sich seine Haende rieb und warmblies. Sein Atem war deutlich zu sehen vor dem schwarzen Werbeplakat. Auf ihm war eine dunkelblonde junge Frau zu sehen, die sich die nackte Schulter mit irgendeiner Salbe einrieb. In der Spiegelung des Fensterglases sah er das Gesicht eines gebrochenen Mannes, dessen schwache Gesichtsmuskeln kaum noch ein Laecheln zu Stande bringen konnten. Ueber den roten Raender waren zwei grosse tote Augen zu sehen, die leblos ins Nichts starrten. Jack hasste sein Spiegelbild. "Es muss sein!"
Jack hasste es zu duschen, aber er nahm all seine Kraefte zusammen, die er noch hatte - und das war an solchen Tagen nicht mehr viel - und ueberwand sich. Er stand auf und oeffnete die Tuer seines Zimmers. Schon im naechsten Augenblick bereute er es, denn draussen im ungewaermten Flur bemerkte er, wie kalt es wirklich war, ohne die Waerme seiner Heizung. Er durchquerte den Flur und betrat das Badezimmer. Schwerfaellig entledigte er sich seiner Kleidung und stieg in die Wanne. Vorsichtig zog er den Vorhang zu, damit sich die gelockerte Haltestange nicht noch weiter aus der Wand loeste. Ueber dem Kopf der Wanne hing die Duschbrause, deren schlecht konzipierter Haltemechanismus die einstellbare Befestigung immer nach unten rutschen liess, wo sie fuer griesgraemige Waldgnome und zu klein geratene Teenager optimal angebracht waere und wo sie jetzt auch aufzufinden war. Jack nahm die Brause von der Aufhaengung, richtete sie auf seine Fuesse und liess das Wasser losstroemen. Natuerlich war das Wasser viel zu kalt. Nachdem er die richtige Wasserwaerme nachjustiert hatte, begann er sich am ganzen Koerper nass zu machen. Als das erledigt war, hing er die Duschbrause wieder auf und begann, seine Haare mit dem Shampoo einzuseifen. Wie verrueckt kratzte er sich seinen Kopf. Das war schon laengst ueberfaellig. Erst jetzt bemerkte der gebuckelte Brite, wie dreckig sein Koerper war. Als er seine Haende sank, sah er vereinzelte Haare zwischen seinen Fingern haengen. Aber an den Anblick hatte er sich schon gewoehnt. Schliesslich fielen ihm schon vor fast einem Jahr die ersten Haare aus. Seine Stirn war schon so hoch, dass es ihm manchmal Angst machte, sich seine Haare mal wieder etwas naeher im Spiegel zu betrachten.
Nachdem Jack sich ein bisschen gewaschen hatte, liess er alles stehen und liegen und drehte das warme Wasser mehr auf. Die Stelle in seinem Nacken, an der das Wasser seinen Koerper traf, fuehlte sich an, als wuerde sie verbrennen; als wuerde er mit dieser Stelle auf einer Herdplatte liegen. Das heisse Wasser ronn seinen stark behaarten Koerper hinab und liess ihn an kochend heisse Lava denken, die sich unweigerlich ihren Weg die Haenge eines Vulkans hinab bahnte. Schon wenige Momente spaeter gewoehnte sich sein Koerper an die Hitze und es begann sich gut anzufuehlen. Es war eine gute Entscheidung, dass er sich ueberwunden hatte. In diesem Moment, wenn das heisse Wasser von innen seinen Koerper wieder mit etwas Leben fuellt, wenn er sogar leicht muede wird, fuehlt er sich in diesen Wochen und Monaten am lebendigsten. Vergessen war die Gebrechlichkeit seines Koerpers. Der schwabbelige Bauch, der dieses Gerippe wie eine Witzfiguer aussehen liess. Der laestige Penis, der trotz seiner laecherlichen Groesse nach sexueller Stimulation lechzte. Die Kaelte der Menschen, denen er sich einfach nicht sozial naehern konnte, weil sie ihn nicht gesellig genug fanden. Die konstruierte Waerme naehrte ihn wie die ungeniessbaren Mohrrueben die laendlichen Kaefer naehrte. "So muss sich die Liebe anfuehlen ..."
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Was fuer ein Scheiss ;^D
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2oo7-o1-26 · Woodrow Shigeru
Kaelte
Er zwang sich selber dazu. "Es muss sein." In der Wohnung war es eisig kalt. Es war ein Altbau und die Decke schien fuer ihn oft unerreichbar. Die Waende waren gepflastert mit unzaehligen Fotos. Es war eines seiner Hobbies, die Fotos von Verwandten und Bekannten an die Wand statt in ein Album zu heften. So fuehlte er sich wenigstens nicht mehr ganz so einsam. Jack Tranton saß gerade an seinem Schreibtisch. Das einzige vernehmbare Geraeusch im Raum war das Ticken der Uhr, die an der Wand hing. Jack hatte zwar die Anlage eingeschaltet, aber die Musik erreichte ihn nicht. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders.
Jack erinnerte sich an den Bauernhof, auf dem er als Kind zwei Jahre verbracht hatte. Er war damals nicht aelter als acht Jahre alt. Die Wintertage waren zu der Zeit die schlimmsten in ganz Suedengland und verlangten die groessten Opferzahlen seit der letzten Epidemie. Und als ob das nicht genug waere, machten die furchteinfloessesten Geruechte ueber einen wahnsinnig gewordenen Schlitzer, der kleine Maedchen in tiefe Waelder lockte, um sie dort in duenne Fetzen zu zerschneiden, ihre Runden. Aus diesem Grund behielt man seine eigenen Kinder besonders gut im Auge. Doch davon hatte er erst spaeter erfahren, denn er war viel zu jung zu der Zeit, die er meist damit verbrachte, das Feld von Ungeziefer frei zu halten. Sein Onkel Wilson, bei dem er lebte, zuechtete schon seit Jahrzehnten eine ausgefallene Sorte von Karotten, die man auch im Winter anbauen konnte. Onkel Wilson nannte sie Frostmoehren. Besonders grossen Erfolg konnte er mit ihnen jedoch nicht verbuchen. Aber so war er nun mal: wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man ihn nur in seltenen Faellen davon abbringen.
Kurioserweise lockten die ungewoehnlichen Moehren auch ungewoehnliche Plagegeister an: von den ueblichen halb verhungerten Tagedieben einmal abgesehen, die lieber dieses geschmacklose Gemuese aßen als die naechste Mahlzeit der ortsansaessigen Kraehen zu werden, fielen nicht selten mehrere Male am Tag diverse Spinnen, Kaefer, Schlangen und natuerlich boesartige Hasen ueber die Felder her. Anscheinend hatten die Frostmoehren ueber die vielen Jahre hinweg besonders die Kaefer genaehrt und gegen die furchtbare Kaelte resistenter gemacht - ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf ihre Groesse. Jack hatte damals, als er mit schweren Aesten auf die ueberproportionalen Kaefer und gemeingefaehrlichen Hasen einpruegelte, nicht mehr an als einen gestrickten grauen Wollpullover, der schon mehrere Fingergrosse Loecher aufwies. Das hat ihn abgehaertet - dachte er zumindest.
Doch die Kaelte des Tisches, die ihn traf, als er seine nackten Arme unbewusst auf ihn ablegte, holte ihn zurueck ins Hier und Jetzt. Die Heizung der Altbauwohnung war schon fast auf die volle Staerke eingestellt und doch war die Tischplatte so kalt wie der Putenschinken im Kuehlschrank. Die Waerme war zwar zu spueren, wenn man seine Hand auf den Heizkoerper legte, aber schon einen halben Meter entfernt von ihm war die Luft mit eisiger Kaelte erfuellt. Das Fenster musste nicht richtig dicht sein. Oder vielleicht lag es auch an der Wohnungstuer, die sich eine Handbreit ueber dem Boden erhob und so die kalte Luft von draussen reinliess.
Jack schaute aus dem Fenster. Der Schnee, der an diesem Tag der erste Schnee des ganzen Jahres war, war inzwischen nur noch an wenigen Stellen in Form einer papierduennen Schicht zu sehen. Dort, wo noch kein Auto gefahren, wo noch kein Mensch einen Fuß gesetzt hatte. Auf der anderen Straßenseite sah er einen alten Mann, der sich seine Haende rieb und warmblies. Sein Atem war deutlich zu sehen vor dem schwarzen Werbeplakat. Auf ihm war eine dunkelblonde junge Frau zu sehen, die sich die nackte Schulter mit irgendeiner Salbe einrieb. In der Spiegelung des Fensterglases sah er das Gesicht eines gebrochenen Mannes, dessen schwache Gesichtsmuskeln kaum noch ein Laecheln zu Stande bringen konnten. Ueber den roten Raender waren zwei grosse tote Augen zu sehen, die leblos ins Nichts starrten. Jack hasste sein Spiegelbild. "Es muss sein!"
Jack hasste es zu duschen, aber er nahm all seine Kraefte zusammen, die er noch hatte - und das war an solchen Tagen nicht mehr viel - und ueberwand sich. Er stand auf und oeffnete die Tuer seines Zimmers. Schon im naechsten Augenblick bereute er es, denn draussen im ungewaermten Flur bemerkte er, wie kalt es wirklich war, ohne die Waerme seiner Heizung. Er durchquerte den Flur und betrat das Badezimmer. Schwerfaellig entledigte er sich seiner Kleidung und stieg in die Wanne. Vorsichtig zog er den Vorhang zu, damit sich die gelockerte Haltestange nicht noch weiter aus der Wand loeste. Ueber dem Kopf der Wanne hing die Duschbrause, deren schlecht konzipierter Haltemechanismus die einstellbare Befestigung immer nach unten rutschen liess, wo sie fuer griesgraemige Waldgnome und zu klein geratene Teenager optimal angebracht waere und wo sie jetzt auch aufzufinden war. Jack nahm die Brause von der Aufhaengung, richtete sie auf seine Fuesse und liess das Wasser losstroemen. Natuerlich war das Wasser viel zu kalt. Nachdem er die richtige Wasserwaerme nachjustiert hatte, begann er sich am ganzen Koerper nass zu machen. Als das erledigt war, hing er die Duschbrause wieder auf und begann, seine Haare mit dem Shampoo einzuseifen. Wie verrueckt kratzte er sich seinen Kopf. Das war schon laengst ueberfaellig. Erst jetzt bemerkte der gebuckelte Brite, wie dreckig sein Koerper war. Als er seine Haende sank, sah er vereinzelte Haare zwischen seinen Fingern haengen. Aber an den Anblick hatte er sich schon gewoehnt. Schliesslich fielen ihm schon vor fast einem Jahr die ersten Haare aus. Seine Stirn war schon so hoch, dass es ihm manchmal Angst machte, sich seine Haare mal wieder etwas naeher im Spiegel zu betrachten.
Nachdem Jack sich ein bisschen gewaschen hatte, liess er alles stehen und liegen und drehte das warme Wasser mehr auf. Die Stelle in seinem Nacken, an der das Wasser seinen Koerper traf, fuehlte sich an, als wuerde sie verbrennen; als wuerde er mit dieser Stelle auf einer Herdplatte liegen. Das heisse Wasser ronn seinen stark behaarten Koerper hinab und liess ihn an kochend heisse Lava denken, die sich unweigerlich ihren Weg die Haenge eines Vulkans hinab bahnte. Schon wenige Momente spaeter gewoehnte sich sein Koerper an die Hitze und es begann sich gut anzufuehlen. Es war eine gute Entscheidung, dass er sich ueberwunden hatte. In diesem Moment, wenn das heisse Wasser von innen seinen Koerper wieder mit etwas Leben fuellt, wenn er sogar leicht muede wird, fuehlt er sich in diesen Wochen und Monaten am lebendigsten. Vergessen war die Gebrechlichkeit seines Koerpers. Der schwabbelige Bauch, der dieses Gerippe wie eine Witzfiguer aussehen liess. Der laestige Penis, der trotz seiner laecherlichen Groesse nach sexueller Stimulation lechzte. Die Kaelte der Menschen, denen er sich einfach nicht sozial naehern konnte, weil sie ihn nicht gesellig genug fanden. Die konstruierte Waerme naehrte ihn wie die ungeniessbaren Mohrrueben die laendlichen Kaefer naehrte. "So muss sich die Liebe anfuehlen ..."
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Was fuer ein Scheiss ;^D
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posted by Woodrow at 7/03/2007 05:27:00 AM
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